Mittwoch, 27. Juni 2012

Lehren aus dem Naziaufmarsch in Hamburg am 2. Juni 2012


Die antifaschistische Mobilisierung am 2. Juni gegen den Aufmarsch von 500 Faschisten in Wandsbek war für uns ein eindeutiger Erfolg. Die ursprüngliche Nazi-Route wurde durch Massenblockaden verhindert und nur durch massive Polizeigewalt konnte den Nazis eine verkürzte Ersatzroute freigeprügelt werden. Etwa 6000 Menschen beteiligten sich an den Blockaden, 7000 zogen in einem Demozug durch die Innenstadt und bis zu 10 000 Menschen besuchten die offizielle Gegenveranstaltung des SPD-Senats auf dem Rathausmarkt.

Am 2. Juni wurden verschiedene Ansätze für praktischen antifaschistischen Widerstand an der Realität erprobt. Eine gründliche Auswertung der gemachten Erfahrungen hilft uns, dafür geeignete Ansätze zu erkennen. Maßstab für die Bewertung von Strategien sollte dabei nicht ein Legalitätsbegriff sein, welcher oft fälschlicherweise mit dem Gebot moralischen Handelns gleichgesetzt wird. Bedeutend ist unserer Ansicht nach in erster Linie die Effektivität von Aktionen, insbesondere im Hinblick auf die Politisierung eines breiten Teils der lohnabhängigen Bevölkerung, somit die zukünftige aktive Beteiligung an wirksamen Massenaktionen gegen die Faschisten.

Warum Blockaden

In unserem Material, in Megaphonreden aber auch im direkten Gespräch erklären wir, dass symbolische Aktionen fernab von den Nazis unzureichend sind. Lässt man den Nazis den Raum, ihre Aktionen durchzuführen, lässt man ihnen auch ein Erfolgserlebnis, das ihren Gruppenzusammenhalt stärkt. Außerdem ist jede größere Faschoansammlung eine reale Gefahr für alle Menschen, die auf sie treffen und zu ihren Feindbildern zählen. Bei jedem Aufmarsch gibt es Versuche der Nazis, Jagd auf Migranten und Linke zu machen, so wie sie es systematisch in den Orten tun, in denen sie sich durchsetzten konnten. Auch am 2. Juni streiften Nazigruppen ohne Polizeibegleitung durch Wandsbek. Vor, während und nach der Demo kam es an verschiedenen Orten zu heftigen Übergriffen. Nur das Eingreifen von Antifaschisten verhinderte Schlimmeres.

Es gibt eine Argumentationslinie, die versucht, Faschisten mit Antifaschisten gleichzusetzen. Damit wird versucht, antifaschistischem Widerstand die Legitimation zu nehmen. Doch das Auftreten der Faschisten und ihr gewaltsames Vorgehen sind weder inhaltlich, noch in seinem Ausmaß vergleichbar. Faschisten haben in der BRD in den letzten 10 Jahren 192 Menschen ermordet. Sie zünden Wohnhäuser an um Menschen zu verbrennen (Köln, Solingen, Lichtenhagen), in Sachsen-Anhalt versuchen sie im Augenblick einen entlassenen Sexualstraftäter zu lynchen. Sie verherrlichen nach wie vor die Verbrechen der Wehrmacht, sowie die industrielle Vernichtung von Menschen im Holocaust und der NSU reist mit Unterstützung von Staat, Verfassungsschutz, Justiz und Polizeiapparat 13 Jahre durch die Republik um „zeugungsfähige“ Migranten mit Kopfschüssen hinzurichten. All das zeigt, dass man sich auf Staat und Polizei im Kampf gegen Nazis nicht verlassen kann. Es ist gemeinsamer und entschlossener Widerstand von Jugendlichen, Beschäftigten, Erwerbslosen und Migranten nötig.

Faschisten unter Staatsschutz – immer wieder, auch am 02.06

Nach wie vor gibt es einen Staatsapparat, auf den von Faschisten zurückgegriffen werden kann.
So hat die Einsatzleitung der Polizei am 2. Juni mithilfe von 4000 Beamten mal wieder mit allen Mitteln versucht, den Aufmarsch der Faschisten durchzusetzen. Das Verhalten der Gegendemonstranten spielte dabei keine Rolle. Nur zu Beginn wurde versucht, eine Sitzblockade durch einzelnes Wegtragen der Blockierer zu räumen. Da es offensichtlich nicht möglich ist, eine so große Masse von Menschen wie am 2. Juni in Wandsbek auf diese Art zu räumen, gab es andere Anweisungen. Die Pferdestaffel wurde angewiesen, in eine Sitzblockade hineinzureiten und vom Sattel aus Pfefferspray zu versprühen. Die Südblockade wurde mit Schlagstockschlägen auf die Köpfe von Sitzblockieren, mit Pfefferspray und Wasserwerfer geräumt. Man sollte nicht den Fehler machen, davon auszugehen, dass die Einsatzleitung der Polizei unabhängig von Scholz agiert. Der Senat ist letztendlich verantwortlich, gegen seine Anweisungen stellt sich kein Polizeipräsident, stellt sich keine Einsatzleitung, da das eine Gefährdung der Karriere bedeuten würde.

Doch wieso lassen sich die Polizeibeamten für so etwas einsetzen? Gründe sind harsche Disziplinierungsmaßnahmen sowie moralische Abgestumpftheit. Aufträge jedweder Art sind nach internen Vorgaben umzusetzen, von „Unbefugten“ will man sich nicht in die Arbeit pfuschen lassen. Weil man ein Rädchen in der großen Staatsmaschine ist, bleibt die Reflexion eigener Handlungen meist aus. Diese Eigenschaft wird im Dienst zielgerichtet gefördert, bis es ganz normal erscheint, einer älteren Dame den Kopf aufzuschlagen, weil sie den Einsatzbefehlen passiv im Weg steht.

Zur bürgerlichen Berichterstattung

Wenn auch in einzelnen Zeitungen wie der Mopo das brutale Vorgehen der Polizei thematisiert wurde, bestand das breite Medienecho aus dem üblichen Einheitsbrei. Berichtet wurde von Ausschreitungen der Gegendemonstranten und Blockierer, geklagt um Materialschäden und verletzte Polizisten. Als friedliches Signal wurde von den Medien die Kundgebung am Hamburger Rathausmarkt hochgehalten. Die Tagesschau im ARD um 20 Uhr berichtete: „In Hamburg ist es bei einer Demonstration von Rechtsextremen zu Ausschreitungen gekommen. Als die Polizei Sitzblockaden auflöste wurde sie mit Steinen beworfen. Außerdem errichteten Demonstranten Blockaden und zündeten sie an. […] Gleichzeitig fand weiter entfernt auch eine friedliche Gegenkundgebung statt.“

Wenn die Blockaden mit rund 7000 Teilnehmern überhaupt erwähnt wurden, so meist in einem Atemzug mit brennenden Autos und Müllcontainern, welche auch die bildliche Berichterstattung dominierten. Auf diese Art wurde ein weiteres Mal versucht, eine große Anzahl an Demonstranten über einen Kamm zu scheren, sie als Gewalttäter zu brandmarken und so Ablehnung zu schüren.
Meist unerwähnt blieben ebenfalls die Brutalität der Polizei, die heftige Verletzungen auf Demonstrantenseite zur Folge hatte, so beispielsweise der Schädelbruch einer 42-jährigen Eimsbüttlerin, die als völlig friedliche Demonstrantin von Polizisten angegriffen wurde.

Heuchelei am Rathausmarkt

Während in Wandsbek der von Polizeipräsident Kopitzsch interessanterweise als „besonnen und motiviert“ bezeichnete Polizeieinsatz stattfand, nutzte Olaf Scholz den Naziaufmarsch, um am Rathausmarkt seine heuchlerische Selbstdarstellungskampagne mit dem Motto „Hamburg bekennt Farbe“ stattfinden zu lassen. Die rassistische Ausländerpolitik des Hamburger Senats, Brechmitteleinsätze, menschenrechtswidrige Flüchtlingslager wie Nostorf/Horst, rassistische Äußerungen von SPD-Politikern (Schmidt, Sarrazin und Co.) auch auf öffentlichen Veranstaltungen (man erinnere sich an den peinlichen Auftritt Martin Schäfers auf einer Veranstaltung von „Laut gegen Nazis“ über Asylanten in Hamburg, wo er äußerte, dass sich „gerechte Flüchtlingspolitik in der Gesellschaft nicht durchsetzen“ lasse) und vieles mehr haben gezeigt, dass die Sozialdemokraten und Scholz nicht gerade als Vorzeigeschild anti-rassistischen und –nationalistischen Gedankenguts gelten können. Durch die politische Durchsetzung sozialer Spaltung (alleine die reichsten 8 Hamburger besitzen 33 Milliarden Euro!!) gießen Scholz und Konsorten Wasser auf die faschistische Saat. Ein Ziel kann also nicht sein, sich mit solchen Parteien zu verbünden, vielmehr müssen wir effektive Massenbewegungen organisieren, die sich gegen jede Form von Nationalismus, Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit stellen und diese an die Wand drücken.

Zur Mobilisierung

Trotzdem finden sich bei solchen Veranstaltungen natürlich nicht nur erklärte Scholz-Unterstützer oder Rassisten, viele sind auch durch widersprüchliche Mobilisierungen abgeschreckt. Hier muss natürlich Selbstkritik ansetzen. Verwirrung wurde zum einen gestiftet durch die Mobilisierung die auf einen übertriebenen Militanzfetisch abzielt oder durch Anspielungen im Szene-Slang Unkundige ausschließt.

Aufgefallen ist uns am Samstag auch eine generelle Verunsicherung, an welchen Aktionen man sich wann am sinnvollsten beteiligt. Die Doppelorientierung auf Demo und Blockaden war ein Fehler. Statt die unbedingte Notwendigkeit der Blockaden herauszustellen, entstand ein Nebeneinander von Aktionsmöglichkeiten. Auf der Demo durch die Innenstadt haben wir viele Menschen getroffen, die eigentlich nach Wandsbek zum Blockieren fahren wollten, aber die Demo als den Anlaufpunkt gesehen haben und davon ausgegangen sind, dass sie dort informiert werden, wie es weitergehen soll, oder dass die Demo so geplant ist, dass man sich danach sinnvoll an Blockaden beteiligen kann. Hier lässt sich auch der Fehler erkennen, trotz Verlegung der Naziroute eine so lange Demoroute durch die Innenstadt zu wählen. Zwar war es uns möglich, einen Block von 300 Leuten aus der Demo zu holen und mit nach Wandsbek zu nehmen, trotzdem wäre bei richtiger Organisierung weitaus mehr möglich gewesen. Dazu wäre natürlich der Schritt zu machen, sich kollektiv und noch konsequenter für ein Blockadekonzept auszusprechen.

Militanz und Szene

Eine weitere interne Manöverkritik kann nicht außen vor bleiben. Dem muss vorangestellt werden, dass die Argumentation der Polizei, man habe sich für die aggressive und brutale Räumung von Blockaden bei einzelnen Flaschenwerfern zu bedanken, natürlich nicht der Wahrheit entspricht. Wie bereits geschildert, sahen sich auch viele völlig friedliche Demonstranten mit Polizeigewalt konfrontiert. Diese kann also nicht als Reaktion auf ein gewalttätiges Vorgehen von Demonstranten, sondern muss als politisches Statement gegen Meinungsfreiheit und Versammlungsrecht gesehen werden. Im Umkehrschluss gilt aber nicht, dass jede Aktion am Rande von Massenblockaden legitim und angebracht ist, nur weil eine Eskalation der Polizei auch ohne sie stattfindet.

Das Blockadekonzept basiert auf der Idee, möglichst viele Menschen in friedliche Sitzblockaden einzubinden. Dadurch ist es uns möglich, massenhaft effektiv zu agieren, ohne uns gegenseitig unnötig zu gefährden. Am Rand und inmitten der Blockaden kam es immer wieder zu Aktionen, die diesem Konzept nicht entsprachen. Das Anzünden von Müllcontainern zum Teil auch in Blockaden, bringt die Polizeiführung nicht dazu, den Aufmarsch nicht durchzuprügeln, sondern verunsichert einen Teil der Blockadeteilnehmer und verärgert die Anwohner. Ein unangebrachtes und unstrukturiertes Blackblock-Prinzip, welches panischens Zurückweichen oder Steinwürfe in die Reihen der anderen Blockierer nicht ausschloss, verletzte Mitdemonstranten, wirksame Blockaden wie beispielsweise am Peterskampweg wurden undurchführbar. Die Erkenntnis, dass es Situationen gibt, in denen Gewaltanwendung gegen Staatsmacht und Polizeigewalt notwendig sein kann, kann nicht als Freifahrtschein verstanden werden, sich in jeder Situation zu verhalten, wie es den Wünschen von Polizeiprovokateuren entspricht, und so das Schaffen einer Massenbasis für tatsächliche gesellschaftliche Veränderung wenigstens zu behindern. Egal wie stylish und aufregend Abenteurertum, Herumstürmen und Vermummung auch sein mögen, genauso unsolidarisch ist es, Mitdemonstranten umzurennen oder gegenüber dem Wasserwerfer stehen zu lassen, während man sich selbst wieder nach der nächsten Mülltonne umsieht.

Dabei soll nicht geleugnet werden, dass es durchaus Situationen gibt, in denen Barrikaden oder das Dichtmachen von Zufahrtsstraßen ein sinnvolles Aktionsmittel sind. Der Castor-Widerstand im Wendland zeigt regelmäßig die Stärke dieser Taktik im ländlichen Raum. Aber diese Stärke beruht auch auf die dortige massenhafte Unterstützung und Beteiligung an dieser Taktik. Es erfordert politische Überzeugungsarbeit, eine Verankerung in der lokalen Bevölkerung und ein geplantes Vorgehen, damit solche Aktionen nicht nach hinten losgehen und uns politisch schwächen. Am 2. Juni hatte der Räumpanzer an einigen Stellen seine Probleme und das ständige wieder Aufbauen von Materialblockaden wirkte zermürbend auf die Polizeikräfte. Klar ist aber, dass eine verkohlte Mülltonne am Rande einer Blockade nicht vor Wasserwerfern schützt und dass Flaschenwürfe nichts gegen eine Polizeikette ausrichten können. Auch erhöht das Anzünden von zwei Privatautos im Arbeiterviertel Ecke Marienthaler Straße/ Peterskampweg wohl kaum die Unterstützung der dort befindlichen Anwohner für diese Form von antifaschistischem Widerstand.

Faschismus muss sowohl in konkreten Aktionen auf der Straße, als auch durch dauernde politische Arbeit beantwortet werden. Dies darf sich nicht auf ein eingeschworenes Szenepublikum beschränken. Der Kampf gegen Nazis fängt an mit dem Kampf gegen Sozialabbau, Lohnkürzungen und Jobvernichtung. Diese Probleme bilden den Keim für die Hetze der Faschisten. Haben wir für diese Probleme keine Lösung, kämpfen wir nicht Seite an Seite mit den Teilen der Arbeiterklasse, die sich gegen die Angriffe auf ihren Lebensstandard zur Wehr setzen, dann überlassen wir den Faschisten dieses Feld. Wir geben den Nazis die Möglichkeit, sich als „Partei der kleinen Leute“ darzustellen, die sich in Opposition zu den bürgerlichen Parteien für die Interessen „der Deutschen“ einsetzt. Um den kapitalistischen Wettbewerb und Profit möglich, sowie Widerstand unmöglich zu machen, werden Menschen in Konkurrenz gesetzt. Nationalismus, Rassismus und Hetze gegen Arbeitslose sollen Lohnabhängige gegeneinander ausspielen und somit schwächen. Aber am wirksamsten lässt sich jede Spaltung der Arbeiterklasse überwinden durch den gemeinsamen Kampf für die gemeinsamen Interessen. Solidarischer und massenhafter Widerstand durch alle Teile der lohnabhängigen Bevölkerung ist deshalb notwendig.

Nazis stoppen! Aktiv bleiben! Kapitalismus abschaffen!

Trotz erstmal positiver internationaler Entwicklungen wie den arabischen Revolutionen, den Massenstreiks in mehreren Ländern gegen die Sparpläne der Regierung, dem Linksruck in Griechenland oder das Erstarken linker Kräfte in Frankreich darf auch nicht übersehen werden, dass auch die Rechte europaweit an Kraft gewinnt, während die Partei die Linke in Deutschland durch das verdeckte Austragen von Richtungskämpfen anhand von Personalfragen und einer fehlenden Präsenz bei Klassenkämpfen an Zustimmung verliert.
Klar muss sein: der Faschismus bringt mit sich die brutale Zerschlagung linker Parteien und der Organisierung von Arbeitnehmerinteressen. Der Rassismus ist der Feind linker Politik, der Feind solidarischer Massen und eines gemeinsamen Widerstands gegen kapitalistische Ausbeutung.

Um konsequent mobilisieren und blockieren zu können ist es natürlich auch notwendig, klar zu argumentieren. Es muss deutlich werden, dass nicht die Grenze vermeintlicher Legalitäten uns vor faschistischem Erstarken und Übergriffen schützt und dass es Polizei und Staat sind, die faschistische Aufmärsche und fälschlicherweise als „Meinung“ bezeichnete faschistische Hetze und Fremdenfeindlichkeit gegen uns durchsetzen wollen. Es ist kein Zufall, dass antikapitalistischer Protest wie in Frankfurt fernab jeglicher demokratischer Illusion verboten und verhindert wird, während auch am 2.6. mit stundenlangen Kesseln, Reiterstaffeln, Schlagstock- und Pfeffersprayeinsätzen ein Naziaufmarsch mit allen Mitteln ermöglicht werden soll. Hohn ist da Scholz Aufruf, die Bevölkerung solle „zeigen […] dass die Nazis keinen Platz in Hamburg haben.“.

Und auch, wenn es ihnen nicht gelungen ist, den Aufmarsch nach Plan stattfinden zu lassen, weil wir das verhindert haben, und auch, wenn selbst die Mopo überzogene Polizeigewalt in Frage stellt, dürfen wir nicht vergessen: Der Kampf gegen den Faschismus ist damit nicht getan, eine Chance haben wir nur, wenn wir uns organisieren: solidarisch, massenhaft und sozialistisch!

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