Freitag, 25. Februar 2011

Massenblockaden in Dresden 2011 - Ergebnisse & Perspektiven


Erneut ist es gelungen den Naziaufmarsch in Dresden zu blockieren. 20.000 entschlossene Antifaschist/innen wollten sich weder von Verboten noch Polizeiknüppeln abhalten lassen das richtige zu tun: Keinen Fussbreit den Faschisten! Diesen Erfolg, den wir vor Ort gegen Kälte, lange Anreisewege und Polizeigewalt errungen haben, kann uns niemand nehmen. Das Ergebnis der Massenblockaden ist eindeutig: Wir haben gewonnen! Der Erfolg von 2010 konnte unter erschwerten Bedingungen wiederholt werden.
Die Zukunft der Bewegung ist jedoch weniger eindeutig. Es ist das Los linker Bewegungen, dass jeder Erfolg uns in neue Widersprüche verwickelt. Der Erfolg von Dresden sollte für uns diese Widersprüche und Schwächen nicht überblenden. Es geht nicht darum nun den Erfolg und die gute Arbeit der Aktiven klein zu reden. Im Gegenteil! Die geleistet Arbeit ernst zu nehmen bedeutet gerade auch sich nicht nur mit den sichtbaren Erfolgen zu beschäftigen, sondern auch an den Schwächen weiterzuarbeiten. Wir dürfen uns daher nicht nur gegenseitig auf die Schulter klopfen, sondern müssen die Widersprüche und Schwächen der Bewegung klar benennen, damit wir weiter kommen.


Dresden als rechter Sammelpunkt - Zenit überschritten
Der Aufmarsch in Dresden war zum Sammelpunkt für die rechte Szene in Europa geworden. So waren 2001 ca. 500 Personen auf dem Naziaufmarsch in Dresden. 2002 waren es schon 1000 und bis 2010 über 6000 Nazis & Rassisten aus ganz Europa. Der Aufmarsch diente der Vernetzung der rechten Szene. Zudem sollte die eigene Stärke demonstriert werden und erfüllte auf diesem Weg die Funktion die Identifikation innerhalb der rechten Strukturen zu erhöhen. Der „Kampf um die Strasse“ ist jedoch auch ein wichtiger Hebel für faschistische Strukturen um sich in der Öffentlichkeit zu inszenieren und neue Mitglieder zu rekrutieren. Darum geht es den Nazis & Rassisten in Wirklichkeit bei ihrem „Gedenkmarsch“: Ihre Überlegenheit in aller Öffentlichkeit auf der Strasse zu präsentieren um dadurch an Einfluss zu gewinnen. Mit Trauer hat das wenig zu tun, das ist nur der ideologische Aufhänger für die Mobilisierung. Statt Macht demonstrierten die Faschisten aber auch 2011 nur ihre Ohnmacht. Die erfolgreichen antifaschistischen Blockaden 2010 waren daher ein schwerer Schlag für die rechte Szene. Aus diesem Grund haben die Faschisten so verbissen darum gekämpft nun 2011 wieder marschieren zu können. Denn mit jeder Niederlage sinkt die Attraktivität des Termins. In diesem Jahr kamen, mit ca. 3000 Teilnehmern am 19.Februar, bereits weniger Rechte als 2010. Die erneute Schlappe wird die Motivation für Nazis & Rassisten aus ganz Europa nach Dresden zu kommen noch weiter senken. Der Zenit für Dresden als Sammelpunkt der rechten Szene scheint vorerst überschritten. Dafür haben wir den Kopf hingehalten und das ist unser Erfolg!


Der Frust sitzt tief – Streit in der rechten Bewegungsfamilie
Der Schock über die eigene Niederlage sitzt bei den Nazis & Rassisten tief. Tagelang war von der NPD und anderen rechten Strukturen nichts zu hören. Auf dem rechten Internetportal „Altermedia“ wusste man sich nicht anders zu helfen als Durchhalte-Lieder aus der Untergangszeit des Hitler-Faschismus“ hoch zu laden. Die Organisatoren der „Jungen Landsmannschaft Ost“ schimpften hilflos über „ägyptische Verhältnisse“ in Dresden. Anstatt Stärke demonstrierten die Rechten auch im Internet ihre organisierte Hilflosigkeit. Vor allem die NPD kann als großer Verlierer angesehen werden. Sie konnte erneut ihren Anspruch nicht einlösen die rechte Szene vereint zum Erfolg zu führen. Hinzu kommen die peinlichen Enthüllungen von „Nazi-Leaks“. Das wird es in Zukunft noch schwieriger machen Freie Kameradschaften, Autonome Nationalisten und National-Konservative Kräfte hinter sich zu scharen. Dresden sollte die rechte Szene wie auf einem gelungenen Familientreffen wieder vereinen. Stattdessen driften die verschiedenen Strömungen nun noch stärker auseinander. Einige kritisieren, dass die Veranstaltung angemeldet wurde und plädieren für spontane, unangemeldete Aktionen in Dresden. In der Tat waren verschiedene Nazi-Gruppen in Dresden unangemeldet unterwegs. Eine dieser Gruppen griff das linke Wohnprojekt „Praxis“ an. Es ist damit zu rechnen, dass ein Teil der Faschisten diesen Weg von spontanen Aktionen ohne Genehmigung der Polizei weiter gehen wird. Das erschwert aber eine Massenmobilisierung, da es keine klaren Termin gibt und auch nicht alle Strömungen der rechten Szenen dabei mitmachen werden. Auf jeden Fall hat die erneute Niederlage in Dresden die rechte Bewegungsfamilie weiter gespalten, weil jeder dem anderen die Schuld für die eigene Unfähigkeit zuschiebt. Auch das ist unser Erfolg durch die Massenblockaden von Dresden!


Keine Entwarnung im Kampf gegen Nazis & Rassisten
Dieser Erfolg sollte aber nicht als Entwarnung missverstanden werden. Wir haben die Nazis & Rassisten einen Hebel aus den Händen geschlagen, um ihre Bewegung aufzubauen. - Nicht mehr aber auch nicht weniger ist uns gelungen. Die rechte Bewegungsfamilie verfügt aber über mehr als diesen einen Hebel. Kleinere, spontane Nazidemonstrationen sind vielleicht nicht so eindrucksvoll aber ziehen dennoch eine gewisse Schicht an Leuten an. Noch sind die Faschisten relativ unerfahren mit der Organisation von nicht-genehmigten Aktionen, aber sie lernen dazu. Und diese unangemeldeten Aktionen sind eine konkrete physische Bedrohung. Der Angriff auf das linke Wohnprojekt „Praxis“ ist nur ein Beispiel. Das macht es notwendiger denn je für linke Räume und Aktivitäten einen effektiven Selbstschutz zu organisieren, um die Angriffe der Faschisten zurück zu schlagen. Denn am Beispiel des Überfalls auf die „Praxis“ können wir sehen, dass auf den Staat kein Verlass ist. Ein anderer wichtiger Hebel für die rechte Bewegungsfamilie ist der kulturelle Rassismus, der sich seit dem 11.September 2001 vor allem gegen Muslime richtet. Diese neue Spielart des Rassismus hat sich in den letzten Jahren weiter verstärkt. Seine Stärke besteht darin, dass er nicht so klar als Rassismus erkannt wird wie die altbekannte biologistische Variante. Es wird von Leitkulturen und nicht mehr von Herrenrassen gesprochen, aber es bleibt dieselbe rassistische Logik! Neue Formationen wie „Pro Deutschland“ oder „die Freiheit“ können mit ihrer Hetze gegen Muslime punkten und wollen an die Erfolge der neuen Rechten in anderen Ländern anknüpfen. Über Internetforen wie „PI“ wird dies Gift bislang ungehindert verspritzt. Bisher ist es nicht gelungen um diese neuen Formationen einen symbolischen Bannkreis zu ziehen wie es bei der NPD oder den Republikanern gelungen ist. Denn die neue Rechte distanziert sich von den offen faschistischen Kräften und hält sich daher auch von Aufmärschen wie in Dresden fern. Verstärkte Anstrengungen sind notwendig um auch diesen Rassisten ihre demokratische Maske vom Gesicht zu reißen. Mit Parolen wie „Nazis Raus“ wird dies jedoch nicht gelingen. Diese Slogans haben noch nie gereicht, aber gegen die neue Rechte sind sie gänzlich untauglich. Für diesen Kampf ist es notwendig die antifaschistische Bewegung inhaltlich neu auszurichten, um die neue Rechte an ihren Schwachstellen zu treffen, bevor sie sich etablieren kann.


Entschlossene Massenmobilisierung als Schlüssel zum Erfolg
Der Erfolg der Blockaden von Dresden ist vor allem der Mobilisierung zu verdanken. Die bürgerlichen Gerichte hatten die Nazidemonstrationen für den braunen Sternenmarsch durch Dresden erlaubt während zahlreiche antifaschistische Kundgebungen verboten worden waren. Selbst eine DGB-Kundgebung vorm Gewerkschaftshaus, die an die Überfälle der Faschisten auf Gewerkschaftshäuser in den 1930ern erinnern sollte, wurde verboten. Wenn es nach diesen Richtern gegangen wäre, hätten die Faschisten die Dresdner Innenstadt für sich gehabt während wir von der anderen Elbseite zuschauen und eventuell noch ne Kerze anzünden dürfen!
Die Polizei hat alles aufgefahren was sie hatte um dies durchzusetzen: Pfefferspray, Knüppel, Wasserwerfer, Überwachungsdrohen, Spitzel, bissige Hunde und Faustschläge ins Gesicht. Durch diese Brutalität wollten sie ihre zahlenmäßige Unterlegenheit ausgleichen. Aber: es hat ihnen nichts genutzt! Tausende Antifaschist/innen haben dennoch ihren Weg zu den Blockadepunkten fortgesetzt. Weder Kälte, noch lange Anreisewege, noch die Polizeigewalt haben uns aufgehalten. Das zeigt erneut wie wichtig eine Massenmobilisierung von unten ist, für den Erfolg antifaschistischer Aktionen. Die Behinderungen durch Justiz & Polizei haben uns nur entschlossener gemacht. Wurden Genoss/innen von der Polizei niedergeschlagen waren sofort neue zur Stelle um den Platz einzunehmen, während sich andere um die angegriffenen Genoss/innen kümmern konnten. Konnte die Polizei eine Straße abriegeln, so konnten wir in der nächsten Straße durchbrechen. In vielen Bereichen zogen sich die Polizei-Hundertschaften resigniert zurück. Selbst an vielen strategisch wichtigen Punkten waren die Polizeiketten so ausgedünnt, dass sie den Massen nicht standhalten konnten. An diesem Tag wurde der Slogan zur Wirklichkeit: Wo du stehst kann kein Nazi stehen!


Einen Finger kann man brechen - Eine Faust nicht
Dieser Erfolg durch die Massenmobilisierung sollte jedoch nicht über die taktischen Fehler bei der Organisation der Blockaden hinwegtäuschen. Viele Gruppen waren offenkundig nicht ausreichend auf die Konfrontation mit der Polizei vorbereitet. Gerade zu Beginn wurden die als „Finger“ formierten Gruppen von den Polizei-Hundertschaften mit brutalen Einsätzen zurück getrieben und sogar eingekesselt. Die lose Formierung der Finger war hier eher ein Nachteil, weil sie es der Polizei ermöglichte den Ansturm leicht zu brechen und auch Leute rauszugreifen. Im Vorfeld wurde vom Bündnis die Taktik ausgewiesen, dass die Gruppen in Fingern organisiert an der Polizei „vorbei fließen“ sollten, um zu den Blockadepunkten zu gelangen. Das Konzept hat ein Teil der Linken seit den G8-Protesten in Heiligendamm ins Herz geschlossen. In der Tat war das Konzept in Heiligendamm recht erfolgreich, ebenso bei den Castor-Protesten 2010. Nur handelte es sich bei diesen Szenarien um ländliche Gebiete mit reichlich Wäldern und Wiesen. Also weiträumige Flächen die für die hochgerüstete Polizei schwer zugänglich sind. In einer Stadt wie Dresden mit zum Teil engen Straßen konnte das Konzept nicht in gleicher Weise funktionieren. An manchen Stellen ist es zwar gelungen die Polizeiketten zu umgehen. Das war aber eher der Unterzahl der Polizeikräfte geschuldet, weil an diesem Wochenende gleichzeitig noch andere größere Polizeieinsätze bundesweit gefahren wurden. Darauf können wir uns aber nicht in Zukunft verlassen. Und an den strategisch wichtigen Punkten war es sowieso selten möglich vorbei zu „fließen“ oder „einzusickern“. Oft genügten schon kleine Polizeieinheiten, um die engen Straßen abzusperren, gerade in der strategisch wichtigen Südstadt zwischen den Sammelpunkten der Faschisten am Hauptbahnhof und Plauen. Erst die Organisierung in festen Blöcken mit Ketten war oftmals der entscheidende Hebel, um die Polizeiabsperrungen zu überwinden. Das hatte dann aber nicht mehr viel mit „vorbei fließen“ zu tun. Hier bestätigte sich das alte Sprichwort aus der Arbeiterbewegung: Einen Finger kann man brechen, eine Faust nicht. Der Kombination aus Massenmobilisierung und entschlossenen Blöcken konnte die Polizei nicht standhalten. Dieser Erfolg war aber mehr dem entschlossenen Handeln der Aktivist/innen vor Ort zu verdanken als dem Konzept was zu Beginn ausgegeben wurde. In der Tat hätten wir uns manchen Rückschlag erspart wären wir von vornherein in geschlossenen Blöcken mit Ketten organisiert als in losen Haufen die der „Finger-Fahne“ folgen. Unter bestimmten Bedingungen macht das Konzept von Heiligendamm weiterhin Sinn. Aber es ist eben kein Patentrezept für jede Massenaktion. Und in diesem Fall war es eine falsche Orientierung zu Beginn der Aktion. Dank der Schwäche der Polizeikräfte kam dieser Fehler glücklicherweise nicht voll zum Tragen. So ist die geringe Anzahl der Verhaftungen wohl eher den geringen Einsatzkräften der Polizei geschuldet. Für die nächste Massenaktion in einer Stadt als Aktionsraum muss im Vorfeld diskutiert werden, ob die taktische Orientierung auf die altbewährten Blöcke mit Ketten nicht geeigneter ist, um sich vor der Polizei zu schützen und sicher ans Ziel zu gelangen.

Nicht nur die Entscheidung bei der taktischen Orientierung ist problematisch, sondern auch wie die Entscheidungsprozesse gelaufen sind. Vor Ort auf der Straße gab es selten eine klar erkennbare Demoleitung oder einen Ordnerdienst. Das hat dazu beigetragen, dass in manchen Situationen, gerade wenn es nicht nach Plan lief, die Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen nur mühsam möglich war. Bis ein Delegiertenplenum einberufen war und die Rücksprache mit den Bezugsgruppen gelaufen ist, war wertvolle Zeit ins Land gegangen. Immerhin basisdemokratisch lässt sich sagen -Leider nicht! Denn die Entscheidung wurde eben von denen getroffen die mitbekommen hatten, dass ein Plenum ist und sich zuerst und am lautesten beim Plenum eingebracht haben. Die Einigung war also in dieser Form nicht nur mühsam, sondern es ist auch fraglich ob das als Musterbeispiel für demokratische & transparente Entscheidungsprozesse gelten kann. Das Delegiertenplenum war in den konkreten Situationen am 19.Februar sicher noch der beste Weg, um Entscheidungen zu treffen. Besser als wenn jede Kleingruppe aneinander vorbei wurschtelt. Noch besser wäre es aber gewesen vor Beginn der Aktionen demokratisch Demoleitungen und einen Selbstschutz zu organisieren, denen man vertraut und die in brenzligen Situationen für ein gemeinsames und schlagkräftiges Vorgehen sorgen. Einige lehnen solche Methoden ab, weil „zentralistisch“ und „hierarchisch“. Denen sei gesagt, dass Entscheidungen auch ohne demokratische & transparente Verfahren getroffen werden. Nur in diesem Fall von Leuten die keiner gewählt hat und auch keiner abwählen kann. Diese Willkür eröffnet gerade Provokateuren und Scharlatanen Möglichkeiten Gruppen in die irre zu führen. Die wirtschafts-liberale Idee von „der Markt regelt sich schon selbst“ auch ohne demokratische Planung funktioniert weder in der Wirtschaft noch im politischen Feld.


Aufstand der Anständigen oder Anständiger Aufstand?
Es soll hier auf keinen Fall behauptet werden, dass bei der Organisation der Blockaden nur Fehler gemacht wurden. Sicher nicht! Es hat funktioniert rund 20.000 zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bringen. Die Informationsstruktur war relativ zuverlässig. Es ist gelungen ganze Buss-Konvois an den Polizeiabsperrungen vorbei in die Südstadt zu schleusen. Die Logistik mit Verpflegung war an vielen Blockaden sehr gut. Dennoch bleibt die Frage ob die Organisation in Dresden wegweisend für die antifaschistische Bewegung ist. Und um diese Frage zu beantworten müssen sowohl Stärken als auch Schwächen klar benannt werden. Die Schwächen wurden hier nicht aufgezählt um irgend vorzuführen, sondern um gemeinsam über Lösungen zu diskutieren. Allein für Lösungen braucht es eine gemeinsame politische Grundlage. Denn eine einheitliche Taktik ist nur möglich wenn man sich auf eine Strategie geeinigt hat. Und hier liegt das Hauptproblem beim Modell Dresden. Es gibt in den Bündnisstrukturen keinen Konsens wie Nazis & Rassisten langfristig zurück geschlagen werden können. Das ist auch bei der Zusammensetzung kaum möglich.

Es wird als Erfolg gesehen, dass ein breites Bündnis in Dresden formiert wurde. In der Tat hat sich eine Art Arbeitsteilung heraus gebildet. Die einen organisieren Mahnwachen vor Kirchen und zünden Kerzen an. Andere finanzieren die Organisation oder stellen ihre Infrastruktur zur Verfügung. Und wieder andere halten auf der Straße den Kopf hin bei den Blockaden. Ganz nach dem Motto: Jeder tut was er kann und alles wird gut. Das hat in Dresden 2011 sogar funktioniert. Dies labile Gleichgewicht in den Bündnisstrukturen funktioniert aber nur auf Kosten der politischen Klarheit. Aufrufe und Slogans mit denen sich der Autonome, der Kirchenmann und der Sozialdemokrat anfreunden können bleiben beim kleinsten gemeinsamen Nenner: Nazis raus aus Dresden. Staatlicher Rassismus bleibt lieber unerwähnt wie auch der Zusammenhang von rassistischer Spaltung und dem kapitalistischem System, denn das würde die bürgerlichen Bündnispartner verschrecken. Langfristige Strategien im Kampf gegen Nazis & Rassisten lassen sich auf dieser Grundlage nicht formulieren. Manche sagen, dass ist auch nicht notwendig und verweisen auf den aktuellen Erfolg. Der aktuelle Erfolg ist unbenommen und darüber können wir uns zurecht freuen. Aber es ist auch genauso wichtig zu fragen wie die antifaschistische Bewegung auch in Zukunft Erfolg haben kann: Wie ist unsere Haltung zum Staat? Wie können wir die Faschisten besiegen solange die rassistischen Diskussionen über Leitkultur & Integration ihnen in die Hände spielen? Wie gehen wir damit um dass die Faschisten versuchen soziale Fragen zu besetzen? Dazu brauchen wir Antworten, wenn wir auch langfristig Erfolg haben wollen. Es ist aber fraglich ob wir insbesondere mit dem bürgerlichen Teil der Bewegung eine gemeinsame Antwort finden oder überhaupt diese Fragen mit ihnen diskutieren können. Bislang werden solche Fragen in den Bündnisstrukturen lieber umgangen, um die aktuelle erfolgreiche Zusammenarbeit nicht zu riskieren. Dieser Vermeidungs-Effekt kann nicht nur in Dresden beobachtet werden, sondern in allen „Bündnissen gegen Rechts“ wo bürgerliche Kräfte mit eingebunden sind. Daher kann sich der Erfolg eines möglichst breiten Bündnisse langfristig als Bumerang erweisen, wenn die notwendigen weiterführenden Diskussionen mit Rücksicht auf die bürgerlichen Bündnispartner ausbleiben.

Aber nicht nur inhaltlich bleibt man lieber beim kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern auch bei der taktischen Orientierung. „Ziviler Ungehorsam“ und „vorbei fließen“ klingt sogar für bürgerliche Antifaschisten akzeptabel. Diese Formeln dienten aber eher als „diplomatische Floskeln“ um die Einheit des breiten Bündnisse nicht zu gefährden. Denn was in Dresden 2011 tatsächlich gelaufen ist ging über zivilen Ungehorsam hinaus. Und das war auch notwendig um die Blockaden trotz des brutalen Polizeieinsatzes durchführen zu können. Die offizielle taktische Orientierung war vielleicht sinnvoll um das breite Bündnis nicht zu gefährden, aber als Orientierung für die Aktionen vor Ort haben sie nicht getaugt. Im Gegenteil waren sie irreführend und haben sich nur dank der Schwäche der Polizeiführung nicht verhängnisvoller ausgewirkt. Es waren eben nicht Mahnwachen vor Kirchen oder Bundestagsabgeordnete auf ihren Fahrrädern, welche den Naziaufmarschfunktion aufgehalten haben. Sondern es waren die militanten Aktionen. Damit sind weniger die brennenden Mülltonnen und Wurfübungen gemeint. Der Nutzen dieser Aktionen ist eher fraglich. Entscheidend waren die Massen in Ketten und Blöcken organisiert welche an den strategisch wichtigen Stellen die Polizeiketten durchbrochen haben. Diese Militanz war entscheidend für den Erfolg in Dresden. Sicherlich sind nicht in jedem Fall Ketten notwendig, um erfolgreiche Massenaktionen durchführen zu können. Das ist genauso wenig ein Patentrezept wie die Taktik von Heiligendamm. Es geht aber nicht nur um Wirksamkeit. Feste Blöcke mit Ketten, Demoleitungen und Ordnerdiensten dienen gerade auch dem Schutz vor Polizeiübergriffen. Das gilt besonders für unerfahrene Genoss/innnen die erst beginnen sich auf Demonstrationen zu bewegen. Und im nächsten Jahr ist das sogar noch wichtiger. Denn es ist davon auszugehen, dass die Polizei nächstes Jahr mehr Kräfte mobilisieren wird, um das Trennungskonzept durchzusetzen und um die Festnahmen nachzuholen, die ihr dieses Jahr selten geglückt sind.

Aber die Bedeutung dieser Massenmilitanz klar zu bilanzieren oder nächstes Jahr als taktische Orientierung auszugeben, würde vermutlich den Rahmen des breiten Bündnisses sprengen. Schon jetzt sind die bürgerlichen Teile des Bündnisses über „die linksextreme Gewalt“ empört. Es ist also fraglich ob dies labile Gleichgewicht im Bündnis weiteren Belastungsproben stand hält. Es ist natürlich wünschenswert, dass möglichst viele Menschen gegen die Nazis auf die Strasse gehen. Um die Faschisten langfristig in die Schranken zu weisen brauchen wir Massenmobilisierungen die über die Szene-Linke hinausgehen. Und um den Nährboden für die Faschisten trocken zu legen brauchen wir erst recht Massenaktionen: Staatlicher Rassismus, rassistische Hetze in den bürgerlichen Medien oder die kapitalistische Konkurrenzlogik kann nur durch starke Massenbewegungen überwunden werden. Da reichen keine Kleingruppen und brennenden Mülltonnen, sondern eine entschlossene Massenbewegung ist dafür notwendig. Insofern sind möglichst breite Bündnisse sinnvoll. Solche Bündnisse haben aber nur langfristig einen Wert wenn sie nicht dazu führen, dass die notwendigen politischen & taktischen Fragen für den Aufbau der antifaschistischen Bewegung aus Rücksicht auf die bürgerlichen Bündnispartner ausgeblendet werden. Denn es kommt nicht nur darauf an dass sich möglichst viele an der Bewegung beteiligen, sondern auch dass die Bewegung sich auf der Grundlage eines klaren politischen Programms in die richtige Richtung bewegt. Aus unserer Sicht sollte ein zukunftsweisendes Programm über „Nazis Raus“ hinausgehen. Denn wir müssen den Faschisten den Boden entziehen indem wir auch den alltäglichen Rassismus bekämpfen und bessere Antworten geben wie die sozialen Probleme gelöst werden können. Daher sollte ein Programm gegen Nazis & Rassisten folgende Punkte beinhalten:

  • Keine Abschiebungen
  • Auflösung der Abschiebeknäste
  • Weg mit den speziellen Ausländergesetzen
  • Bleiberecht für alle Menschen die hier leben wollen
  • Keine Vermietung öffentlicher Räume an faschistische Organisationen
  • Aufbau von gut organisierten und ausgerüsteten Ordnerdiensten, um antifaschistische Mobilisierungen zu schützen und um ein Eingreifen von Faschisten bei sozialen Protesten zu verhindern
  • Keine Plattform für Faschisten in den Medien
  • Weg mit den „Anti-Terror-Gesetzen“
  • Rücknahme der Agenda 2010, Hartz I bis IV und aller Sozialkürzungen
  • Verteilung der Arbeit auf alle: Für die Einführung der 30-Stunden-Woche beim vollen Lohn- und Personalausgleich als ersten Schritt
  • Überführung der Banken, Konzerne und Versicherungen in Gemeineigentum – demokratische Kontrolle und Verwaltung durch die Bevölkerung

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